Was ist ein Synthesizer?

Es beginnt ja erst interessant zu werden, wenn Ungewöhnliches passiert. Je weiter die Entfesselung, die Auflösung in Funktionen getrieben wird, um so interessanter und vielseitiger ist ein Synthesizer, um so berechtigter trägt er diesen Namen.
So erschließt der Synthesizer einen neuen, ungeheuer vielseitigen Raum der Phantasie-Entfaltung für den Musiker, den Komponisten, für die Ausbildung, das Labor, das Studio. Für den forschenden und suchenden Menschen im reizvollen Kräftespiel zwischen der eigenen Vorstellungskraft und der unergründlichen Vielseitigkeit des Systems oder für jenen, der sich einfach durch willkürliches Probieren überraschen lässt.
Wir befinden uns immer noch im Anfang des Kunststoff-Zeitalters der Weltgeschichte der Töne und Klänge, in dem, wie in jeder Entwicklung, am Anfang der Missbrauch steht, die Imitation von bereits Dagewesenem, bis mit dem neuen Stoff auch die neue Form entsteht.
Der echte Synthesizer ist aber kein Musikinstrument in diesem Sinne, er ist vielmehr ein System zur Entfesselung und des Sezierens, der operativen Auftrennung aller nur denkbaren Nervenpunkte am komplizierten Organismus eines Tones oder Schallereignisses und ihrer Wiederzusammenfügung in beliebiger Gesetzlosigkeit. Je willkürlicher, je komplizierter, je unberechenbarer dieses System arbeitet oder bearbeitet werden kann, desto reizvoller und interessanter ist es. Zumindest für den, der das sucht, was bisher noch kein Musikinstrument zu bieten vermochte, den Vorstoß in einen unbegrenzten Raum von Möglichkeiten, in dem man fasziniert und resigniert zugleich die Hilflosigkeit unserer Vorstellungskraft erkennen muss.

Heinz Funk, „Funkschau“, Ausgabe 23, 1973
2017 gefunden auf der Seite vom Synthesizerstudio Bonn – quasi „mein Vorgänger“, Danke für das Zitat.